Lebensweise, Grausamkeit, Ausrottung? Die jüngste Tötung von Atlantischen Weißseitendelfinen auf den Färöern

(for the English version, please click here)

Einleitung

Kürzlich machte die Nachricht die Runde, dass am 12. September 2012 auf den zu Dänemark gehörenden Färöer Inseln eine der größten Schlachtungen von Atlantischen Weißseitendelfinen (Leucopleurus acutus) stattgefunden habe. Zahlreiche internationale Nachrichtenstationen, wie die britische BBC, die US Washington Post oder die Tagesschau — um einige wenige zu nennen — berichteten darüber.

Screenshot der Tagesschau vom 15.9.2021, 20:15 Uhr.

Obwohl es keine einheitliche Darstellung der Anzahl der getöteten Tiere gab, kann davon ausgegangen werden, dass 1,400—1,500 Delfine in die Bucht getrieben und dort geschlachtet wurden. Die verfügbaren Daten der färöische Regierung zeigen, dass dies die größte Anzahl an Delfinen oder Grindwalen in den 2000er Jahren gewesen ist, die geschlachtet worden ist (hier). Es ist somit nicht überraschend, dass diese Schlachtung internationale Proteste in der Tierrechts-Branche ausgelöst hat, da Organisationen wie Sea Shepherd oder PETA schon jahrelang gegen diese Jagd protestiert haben. Aber auch auf den Färöern selber ist diese Treibjagd aufgrund von Fehlern und fehlenden Informationen kritisiert worden, wie mehrere Zeitungen berichten (z.B. hier). Das färöische Parlament wird aufgrund dieser Tatsache eine Untersuchung einleiten (hier).

Eine detaillierte Darstellung des Walfangs auf den Färöern findet sich in Russell Fieldings Buch The Wake of the Whale (hier), das ich 2020 auch in Polar Record rezensiert habe (hier).  

Der Grindadráp – Eine Jahrhunderte alte Weise des Lebensunterhaltes

Wenn man über die Färöer fährt, wird einem schell klar, dass das nordatlantische Klima nicht mehr hergibt als Schafe und Fisch. Nicht umsonst leitet sich der Name der Inseln aus dem Altnordischen Wort für ‘Schafsinseln’ ab. Aber die Gewässer bieten dennoch Grindwale (Globicephala melas), Tümmler (Tursiops truncatus), Atlantische Weißschnabeldelfine (Lagenorhynchus albirostris), Schweinswale (Phocaena phocaena) und Atlantische Weißseitendelfine. Vor dieser Tatsache ist es nicht verwunderlich, dass diese Arten seit der Besiedelung der Färöer durch norwegische Siedler im 9. Und 10. Jahrhundert als Nahrungsquelle genutzt worden sind.

In der als Grindadráp bekannten Jagd (Färöisch für “Grindwal” [‘grind’] und “Schlachtung” [‘dráp’]) werden Schwärme von Walen oder Delfinen in eine Bucht getrieben, wo sie durch Durchtrennen der Blutzufuhr zum Gehirn und des zentralen Nervensystems getötet werden. Je nach Größe des Schwarms hat das Fleisch der Wale und Delfine maßgeblich zur Nahrungssicherheit beigetragen. Auch was es nicht beschränkt auf jene, die an der Jagd teilgenommen haben, sondern wurde an alle verteilt, die Bedarf anmeldeten. 

Seit der Walfang im öffentlichen Diskurs wahrgenommen wurde, ist der Grind, wie er auch genannt wird, unter massive Kritik geraten. Da die Wale, die gejagt werden, kleine Meeressäuger sind, fallen sie nicht unter die Kontrolle der Internationalen Walfangkommission (IWC), die seit 1985/86 ein Moratorium über den kommerziellen Walfang verhängt hat. Nach internationalen Rechtsstandards ist der Grind somit erst einmal legal. Obwohl die Färöer Teil des Königreiches Dänemark sind, von dem Dänemark zur EU gehört, geniessen sie dennoch ein hohen Grad an Autonomie, welche es ihnen ermöglicht, Walfang zu betreiben — welcher illegal in der EU ist. 

Auf den Färöern selber ist der Walfang streng reguliert. Obgleich er opportunistisch ausgeführt wird, setzen dem Grind mehrere parlamentarische Rechtsakte und Durchführungsverordnungen Grenzen. Eine Übersicht der Rechtsakte sowie Links zu ihnen findet sich hier. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Tötungsmethoden, Tierwohl und Artenschutz relativ hoch auf der Rechtsagenda der Färöer zu finden sind.  

Tierwohlaspekte

Das Töten von Walen — oder auch jeden anderen Tieres — ist nie schön anzuschauen. Ich habe die kanadische Robbenjagd erster Hand erlebt, habe Zeit mit den Robbenjägern verbracht und habe an der Jagd selber teilgenommen (hier). Und sich an das Blut, das Fett und die Eingeweide zu gewöhnen, war etwas, dass seine Zeit brauchte. Zu sehen, wie Wale und Delfine in flache Gewässer getrieben werden, ihre Wirbelsäulen durchtrennt werden und das Blut das Wasser rot färbt, kann für solche, die es nicht gewohnt sind, nur Ekel und Horror hervorrufen. Das Zucken der Tiere, kann auch dazu führen, dass man meint, das Tier sei noch am Leben — obwohl es lediglich nervlich bedingt sein kann. 

Wie dem auch sei, massive Bedenken zum Tierwohl der Waljagd sind von Organisationen, Regierungen und von den Färöern selber erhoben worden. Die Nordatlantische Meeressäugerkommission (NAMMCO), die 1992 gegründet wurde und aus den Färöern, Grönland, Norwegen und Island besteht, hat deswegen ein Komitee zu Jagdmethoden gegründet, das danach strebt, das Töten von Meeressäugern so schmerzlos wie möglich zu gestalten. 

Im Falle des Grind hat NAMMCO ein Handbuch für die Treibjagd in Buchten entwickelt. Dieses Handbuch ist hier verfügbar und seine Vorgaben sind auch in das färöische Recht aufgenommen worden. Wesentliche Aspekte behandeln die schnelle Tötung u.a. durch das Sichern des Tieres mit einem stumpfen Luftlochhaken, welcher den Wal nicht verletzt, dem Durchtrennen des zentralen Nervensystems mit einer Spinallanze und dem zügigen Ausbluten des gesamten Tieres.

Luftlochhaken und Spinallanze © NAMMCO, S. 15 & 18 (hier).

Darüberhinaus verlangt die letzte Durchführungsverordnung, dass zugewiesene Walbuchten groß genug sein müssen, genügend Menschen beherbergen zu können, die die Wale schnellstmöglich töten können. Falls dies nicht gewährleistet werden kann, kann der Distriktsadministrator die Jagd abbrechen und die Wale zurück ins offene Meer treiben lassen. Ob oder wie dies (jemals) geschehen ist, kann ich nicht beurteilen. 

Allerdings scheint dies ein wesentlicher Bestandteil zu sein, um den schnellen Tod der Tiere gewährleisten zu können. Eine Studie von 1999 zu einer Treibjagd von 47 Grindwalen hat aber gezeigt, dass es deutliche Unterschiede in der ‘Zeit-zum-Tod’ (engl. time-to-death [TTD]) gibt: 

2-10 Min.11-20 Min.21-30 Min.31-40 Min.41-50 Min.51-60 Min.
Anzahl26124311
Prozentzahl55269622
Übernommen von Olsen, 1999, S. 10 (hier)

Wenn angenommen wird, dass diese Werte Durchschnittswerte darstellen, würde dies für die Jagd auf 1,400 Tiere bedeuten: 

2-10 Min.11-20 Min.21-30 Min.31-40 Min.41-50 Min.51-60 Min.
Anzahl770364126842828
Prozentzahl55269622
Eigene Berechnungen

Was die derzeitige Rechtslage nicht berücksichtigt, ist das Stresslevel der Wale/Delfine während der Jagd. Anders als in der Treibjagd auf Delfine in Taiji, Japan, wo ich beobachten konnte, wie die Tiere in eine Bucht getrieben wurden, in der sie sich erst einmal beruhigen konnten, werden auf den Färöern die Tiere getrieben und direkt getötet. In einer Studie in Applied Animal Welfare Science aus dem Jahr 2019 haben die Autoren gezeigt, dass Kleinwale einen sehr hohen Stresslevel bei Treibjagden aufweisen. Daher betrachten sie diese Jagdmethode als inhärent inhuman (hier). 

Ob diese Inhumanität unter Berücksichtigung der Bedürfnisse gerechtfertigt ist, ist Kern einer hitzigen Debatte: während Unterstützer der Jagd argumentieren, dass sie das Beste täten, die Tiere so schnell wie möglich zu töten (und die Versuche der Jäger selber, dies zu erreichen zeugt davon, dass sie es ernst meinen [hier]) kritisieren Gegner, dass der Zweck nicht die Mittel heilige. Dies bedeutet, dass, ihrer Meinung nach, der Konsum von Walfleisch, das nicht überlebenswichtig ist, das Töten nicht rechtfertigen kann. 

Artenschutzaspekte

Anders als Großwalarten, die international dem Management der Internationalen Walfangkommission unterliegen, gibt es kein vergleichbares Organ für kleine Walarten. Das bedeutet aber nicht, das keine Schutzmechanismen existieren. 

Allerdings muss erst einmal bedacht werden, dass jene Spezies, die auf den Färöern gejagt werden, keine Artenschutzbedenken innerhalb der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) hervorrufen. Basierend auf den Informationen der Roten Liste bedrohter Tierarten des IUCN werden alle als ‘nicht gefährdet’ (LC) geführt, was bedeutet, dass ihre Populationen überwacht werden müssen, sie jedoch nicht bedroht sind. Der Atlantische Weißseitendelfin ist noch nicht einmal in der Liste enthalten. 

International sind zwei Instrumente, die den Fortbestand der färöischen Kleinwalarten gewährleisten, zu nennen. Erstens, das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten frei lebenden Tieren und Pflanzen (Washingtoner Artenschutzkonvention oder CITES) listet alle Walarten auf Appendix II, unabhängig von ihrem Bedrohungsstatus. Das heißt also, dass der internationale Handel zwar möglich ist, dieser aber streng überwacht werden muss. Nur muss hier bedacht werden, dass die Auflistung auf Appendix II nicht unbedingt wissenschaftlich begründet ist, sondern eher politischer Natur ist (hier).

Das zweite Instrument ist das Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee, des Nordostatlantiks und der Irischen See (ASCOBANS), welches unter der Ägide des Bonner Übereinkommens zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten verabschiedet wurde. Neben dem Verbot des Tötens der 20 Arten, die ASCOBANS schützt, deckt das Abkommen auch Lärmreduktion,  die Reduktion von Schiffskollisionen und, ganz allgemein, die Beibehaltung der Arten ab. Obwohl Dänemark ein Mitgliedsstaat von ASCOBANS ist, garantiert das Home-Rule-Gesetz von 1948 den Färöer Inseln Autonomie über die Nutzung und das Management von Fisch und anderen natürlichen Ressourcen, wie auch Walen. Die Inseln sind somit nicht an die Vorgaben ASCOBANS’ gebunden.

Stattdessen sind die Färöer Mitgliedsstaaten des NAMMCO-Übereinkommens, das den Schutz, das rationale Management und die Forschung zu Meeressäugern im NAMMCO-Gebiet (also den Ausschließlichen Wirtschaftszonen der NAMMCO Mitgliedsstaaten) vorsieht. 

Exklusive Wirtschaftszonen der NAMMCO Vertragsstaaten © Nikolas Sellheim, 2021; Eine hochauflösende Karten findet sich unter ‘Maps’.

Auch auf europäischem Level, auf dem eigentlich das Berner Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume alle färöischen Wale auf Appendix II listet und ihnen somit Schutz gewährt, führt das Home-Rule-Gesetz auch dazu, dass die Färöer Autonomie besitzen. Wie Russell Fielding zeigt, haben dänische Behörden keinerlei Befugnisse, den Walfang zu stoppen (hier, S. 150). 

Die die Zahl von 1,400 getöteten Delfinen extrem klingt, war diese Schlachtung aus Schutzperspektive, erstens, legal und, zweitens, scheinbar unproblematisch in Bezug auf den Populationsstatus der Delfinart. Allerdings 2016 haben Fernández u.a. die Population auf 100,775 bis 146,363 geschätzt (hier). Das würde bedeuten, dass in einer Treibjagd ungefähr 1,39% bzw. 0.96% der Population gejagt worden sind, wenn man davon ausgeht, dass die geschätzten Zahlen nach wie vor gültig sind. Ob dies eine akzeptable Prozentzahl ist, kann ich als nicht-Biologe nicht einschätzen, aber sie klingt dennoch relativ hoch. Die Information, die ASCOBANS bereitstellt, würde sie noch weiter erhöhen, da hier geschätzt wird, dass sich 40,000 Weißseitendelfine im Westatlantik und 12,000 in der ASCOBANS-Region befinden (hier). Die jüngste Jagd hätte somit einen deutlichen Einfluss auf den Populationsstatus. 

Schlussbetrachtungen

Ob die Färöer ein Recht auf die Ausübung ihrer Jahrhunderte alten Tradition haben, ist eine sehr individuelle Frage. Aufrufe zu Boykotten der Färöer können aber nicht der richtige Weg sein. Man muss bedenken, dass auch auf den Färöern deutliche Widerstände gegen die Jagd anzutreffen sind. Natürlich ist Töten immer hässlich, aber man sollte sich fragen, auf welcher moralischen Grundlage das Töten gerechtfertigt werden kann (oder eben nicht). Ist es das Tierwohl, der Artenschutz oder das inhärente Recht der Färöer, ihre (lokalen) Ressourcen nutzen zu können, was die Ansicht auf diese Jagd determiniert? Diese Fragen sind eher rechtlich oder wissenschaftlich und ich denke, darauf könnten Antworten gefunden werden.

Anders sieht es mit einem moralischen Satz Fragen aus: Lehnt man die Jagd ab, da Delfine sozial, intelligent und kulturelle Tiere sind? Unterstützt man die Jagd, weil die Treibjagd über Jahrhunderte ein integraler Bestandteil färöischer Kultur gewesen ist? Wie man es auch dreht, würde dies heissen, dass es nur legitim ist, dumme, un-kulturelle zu töten? Und ist es jede kulturelle Tradition wert, bewahrt zu werden? 

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