Einleitung
Am 3. August 2021 veröffentliche das Fachblatt rrounal of Environmental Law den Artikel “Megafauna Rewilding: Addressing Amnesia and Myopia in Biodiversity Law and Policy” von Prof. Arie Trouwborst (hier). In diesem Artikel geht Trouwborst der Frage nach, in wie weit und ob das Völkerrecht und internationale Politiken es erlauben, Gegenden, in denen Megafauna (Großtierarten) ausgestorben ist, mit dieser neu zu besiedeln. Obwohl auf den ersten Blick dieses als etwas Sinnvolles erscheint, zeigt sich in Trouwborsts Artikel, dass ein solches Vorhaben gravierende Probleme mit sich bringen würde. Denn er behandelt nicht Arten, die in den letzten 100+ Jahren ausgestorben sind, sondern mit Arten, denen dieses Schicksal vor mehreren 100 bis mehreren tausend Jahren widerfahren ist.
In diesem Beitrag gehe ich der Möglichkeit einer Neuansiedlung nach. Wie würde, zum Beispiel, die deutsche Gesellschaft reagieren, wenn plötzliche wieder Wölfe oder Elefanten deutsche Ländereien bewandern würden?
Aufkommen
Als ich in den 1980er Jahren in Deutschland aufwuchs, war ‘der Wolf’ (Canis lupus) im Prinzip ein Tier der Vergangenheit und der Märchen. Das Heulen eines Wolfes in Niedersachsen würde ich offensichtlich in meinem Leben niemals erfahren. Aber weniger als drei Jahrzehnte später hat sich das Bild grundlegend geändert: heutzutage gibt es 32 Wolfsrudel alleine in Niedersachsen, von denen sich drei in unmittelbarer Nähe der Gegend befinden, in der ich aufgewachsen bin. In Deutschland können derzeit 113 Rudel gezählt werden und zudem mehrere Einzeltiere und Paare. Die meisten dieser Rudel, die aus bis zu 10 Wölfen bestehen, tauchen in der Nordhälfte Deutschlands auf. Seit dem Jahre 2000 hat der Wolf ein Comeback in Deutschland erlebt!

Aber wie steht es um andere Megafauna, die dieses Gebiet eins beheimatete? Trouwborst bemerkt, dass, je nach dem, wie lange man in der Zeit zurückgeht, jeder Kontinent, außer Australien und Antarktika, eine Elefanten(-artige)population aufwies: Elefanten, Mammuts, Mastodons, Gomphotere oder Stegodonten waren ständige Begleiter der frühen Menschen. Oder um es anders auszudrücken: es ist eher untypisch in der Geschichte der Welt, dass auf den meisten Kontinenten keine Elefanten mehr anzutreffen sind. Und das ist, wie Trouwborst zeigt, der menschlichen Ausbreitung und Evolution zu schulden.
Obwohl nun diese Elefanten(-artigen)arten lange ausgestorben sind, ist eine Neuzüchtung dieser in Jurassic Park-Manier eher unwahrscheinlich (sollte sie denn erfolgreich sein). Aber es ist vorstellbar, dass Ersatzarten in jene Gebiete angesiedelt werden, in denen einst deren Vorfahren lebten. Also lohnt es sich einmal vorzustellen, dass die Wiederherstellung der natürlichen Umwelt so weit gegangen ist, dass Afrikanische Elefanten (Loxodonta africana) wieder in Mitteleuropa leben würden, um die ökologische Nische ihrer frühen Verwandten, wie dem Europäischen Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus) einzunehmen. Es scheint mehr als wahrscheinlich, dass ein Schrei der Entrüstung durch die deutsche Gesellschaft gehen würde: auf der einen Seite würden Umweltgruppen die Wiederansiedlung als eine Manifestation des Originalzustandes der natürlichen Umwelt sehen; Andererseits würden Bauern und andere Landnutzer den Elefanten als Schädling für den Fortbestand von Feldern und anderen Landnutzungen ansehen. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass die Wilderei deutlich zunehmen könnte.
Begegnungen
Ich schreibe dies, weil im Jahre 2006 ein Braunbär (Ursus arctos) von Trentino in Italien seinen Weg nach Deutschland fand. Dies war der erste Braunbär in Deutschland seit mehr als 170 Jahren. Aber anstelle den Bären seinen Geschäften nachgehen zu lassen, wurde er als ‘Problembär’ dargestellt, da er mehr Tiere tötete als er fraß und er dem Menschen gefährlich nahe kam. Als Konsequent wurde er kurz darauf mit Hilfe finnischer Bärenjäger getötet.
Nun stelle man sich einmal vor, es würden wieder Elefanten in den Wäldern Deutschlands leben. Man stelle sich eine stabile Wolfspopulation vor. Oder man stelle sich eine Ausbreitung von Bären vor. In diesem Zusammenhang muss ich unweigerlich an die letzte Vertragsstaatenkonferenz (CoP) der Washingtoner Artenschutzkonvention (CITES) im August 2019 denken. Während dieser CoP saß ich häufig mit einem Delegierten eines südafrikanischen Landes zusammen, der in einem Gespräch einmal zu mir sagte: “Für Euch Europäer ist es fast unmöglich sich vorzustellen, in einem Land wie unserem zu leben. Wir sind jeden Tag mit Gefahren konfrontiert. Wenn man Schwimmen geht, muss man auf Flußpferde achten. Wenn die Kinder raus gehen sind es die Löwen oder andere Großkatzen, die eine Gefahr darstellen. Oder wenn man auf die Felder geht muss man darauf gefasst sein, dass sie von Elefanten zertrampelt worden sind.” Er sagte dies, da er der Annahme war, dass gefährliche Tiere gerne von Europäern romantisiert werden.
Und ich kann dem nur zustimmen. Das wahrscheinlich beste Beispiel ist einmal wieder der Wolf. Für einige ist es ein ikonisches Tier, das Wildheit, Mystik und Weisheit repräsentiert. Für andere ist er ein Raubtier, dass Nutztiere tötet und Menschen bedroht. Im April dieses Jahres hatte eine Frau ein Erlebnis mit einem Wolf, als sie ihren Hund ausführte. Sie schaffte es, diesen Vorfall zu filmen (hier). Ich selber habe nie einen Wolf in der freien Wildbahn erlebt, aber ich könnte mir vorstellen, dass ich ihn nicht als weises und mysteriöses Tier wahrnehmen, sondern als potenzielle Gefahr für mich selber sehen würde. Das Selbe würde wohl für einen Elefanten gelten.
Eine Zukunft der Vergangenheit?
So bleiben die Fragen offen: Wem würde eine Neu-Auswilderung von Megafauna in Deutschland oder Europa dienen? Ist dies, was mit Wiederherstellung gemeint ist? Obwohl dies ein interessantes Gedankenexperiment darstellt, ist es schwer in der Realität vorstellbar. Neben Prof. Trouwborsts Analyse der rechtlichen Hürden, sind es auch eine Vielzahl sozialer und gesellschaftlicher Problem, die mit einer Neu-Auswilderung auftreten würden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dies die Kluft, die zwischen Naturschützern und Nutzungs-Aktivisten bzw. zwischen Umweltaktivisten und Landwirten mindern würde. Das Gegenteil wäre wahrscheinlich der Fall. Also ist abschließend eher zu sagen, dass die bessere Lösung wäre, dies im Reich der Vorstellung zu belassen und sich auf die Wiederherstellung der Umwelt der jüngeren Geschichte konzentriert.